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Fremdgrundinanspruchnahme bei Baugrubensicherungen in Tirol

1. Einleitung

Aufgrund der topografischen Gegebenheiten wird Baugrund in Tirol immer knapper und kostbarer. Dementsprechend hoch sind die Grundstückspreise, weshalb von Bauherrenseite meist versucht wird, den Baugrund bestmöglich auszunutzen. Das führt häufig zur Planung von mehreren Untergeschoßen, wobei die Außenwände zum Teil bis unmittelbar an die Grundgrenzen reichen.

Sind die entsprechenden Randbedingungen gegeben, kann das Gelände zur Herstellung der Baugruben frei abgeböscht werden. Die Errichtung der Untergeschoße macht jedoch meist Baugrubensicherungsmaßnahmen erforderlich. Ohne die Inanspruchnahme von Fremdgrund (Verankerung) sind diese jedoch gar nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand umzusetzen. Ist das Verhältnis zu den Nachbarn schwierig, so stellt das häufig die größte Hürde bei der Planung und Umsetzung von Baugrubensicherungsmaßnahmen dar.

 

2. Temporäre Fremdgrundinanspruchnahme laut TBO 2018

In der Tiroler Bauordnung 2018 wird unter § 43 die „Vorübergehende Benützung von Nachbargrundstücken“ geregelt. Dazu wird das Folgende ausgeführt:

 

(1) Die Eigentümer der Nachbargrundstücke […] haben das Betreten und Befahren sowie die sonstige vorübergehende Benützung dieser Grundstücke […] zum Zweck der Ausführung eines Bauvorhabens […] einschließlich allfälliger Sicherungsarbeiten im unbedingt notwendigen Ausmaß zu dulden. Diese Verpflichtung umfasst auch die Durchführung von Grabungsarbeiten und die Anbringung von Verankerungen und Stützelementen und dergleichen. […]

 

Ein entsprechender Bescheid der Baubehörde ist jedoch an Bedingungen gekoppelt. Voraussetzung für eine Erteilung ist einerseits, dass die Bauarbeiten ohne einen solchen nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohen Mehrkosten realisiert werden könnten. Zudem dürfen die Vorteile der vorübergehenden Benützung nicht in einem krassen Missverhältnis zu den damit verbundenen Nachteilen stehen. Stimmt der Eigentümer der vorübergehenden Benützung seines Grundes nicht zu, so kann die zuständige Baubehörde unter Berücksichtigung der oben angeführten Gesichtspunkte per Bescheid darüber entscheiden.

 

Des Weiteren wird in der TBO 2018 ausgeführt:

 

„(5) Der Bauherr bzw. der Eigentümer der betreffenden baulichen Anlage hat innerhalb einer angemessenen Frist nach der Beendigung der Bauarbeiten, zu deren Durchführung die Benützung von Nachbargrundstücken erforderlich war, den früheren Zustand wiederherzustellen. […]

 

Die Herstellung des „früheren Zustands“ stellt also den wesentlichen Aspekt dar, der für die Bewilligungsfähigkeit der vorübergehenden Benützung den Ausschlag gibt.

 

3. Freie Aushubböschungen auf Fremdgrund

 Laut § 43 TBO sind also beispielsweise freie Aushubböschungen auf Fremdgrund auch ohne Zustimmung der jeweiligen Grundeigentümer baurechtlich bewilligungsfähig. Häufig sind jedoch, vor allem innerstädtisch, die erforderlichen Randbedingungen nicht gegeben. Bestehende Bauten, Infrastrukturleitungen, Zufahrten, etc. machen ein Abgraben des Nachbargrundes von vornherein schwierig bzw. unmöglich. Widerstände der betroffenen Grundeigentümer haben zudem oft langwierige Bewilligungsverfahren zur Folge. Daher wird der Weg, eine Fremdgrundbenutzung zu erzwingen, nur selten eingeschlagen.

4. (Wiederausbaubare)
Verankerungssysteme

Lassen die örtlichen Randbedingungen bzw. die geplanten Sicherungshöhen eine freie Aushubböschung nicht zu, muss ein Verbau auf eigenem Grund (z.B. im Untergrund frei eingespannter Spundwand- oder Bohrpfahlwandverbau) hergestellt werden. Ist dies technisch oder infolge der Platzverhältnisse nicht möglich, sind Verankerungselemente erforderlich.

 

Da herkömmliche Systeme wie Bodennägel oder Vorspannanker im Untergrund verbleiben, stellt das Versetzen derartiger Verankerungen unbestritten eine dauerhafte Fremdgrund-inanspruchnahme dar. Eine Herstellung des früheren Zustandes (Grundstück ohne Anker) ist bei Einsatz dieser Systeme nicht möglich, eine Erzwingung der Fremdgrundbenutzung gemäß § 43 TBO würde daher nicht gelingen.

 

Aus diesem Grund wird von Bauherrenseite immer wieder der Wunsch geäußert, „ausbaubare Verankerungssysteme“ zu versetzen. Auf dem Markt gibt es mehrere Systeme, die den Wiederausbau des Stahlzuggliedes ermöglichen. Das zertrümmerte Verpressgut (ausgehärtete Zementsuspension) und diverse Kleinteile (Verpressschläuche, Abstandhalter, Umlenkrollen, etc.) verbleiben allerdings auch bei Einsatz dieser Systeme im Untergrund.

 

Zur rechtlichen Situation im Zusammenhang mit § 43 TBO und derartigen Systemen wird in einem Urteil des Landesverwaltungsgerichtes Tirol (LVwG-2014/31/2304-33) unter Punkt „III. Rechtliche Erwägung“ Folgendes ausgeführt:

 

Aufgrund des vollständigen Ausbaus des Ankerstahls ist zu den Grundstücken der Beschwerdeführer […] hin jedenfalls nur von einer vorübergehenden Benützung des Nachbargrundstückes auszugehen.

Hinsichtlich des von sämtlichen Beschwerdeführern monierten verbleibenden Verpresskörpers im Fremdgrund ist auszuführen, dass dies keinesfalls als dauernde Fremdgrund-inanspruchnahme gewertet werden kann, da weder die Menge noch die Konsistenz des aufgesprengten Verpresskörpers mit Körnungsgrößen von maximal 6 cm […], welche sich darüber hinaus tief im Erdreich der Nachbargrundstücke befinden, zu einer wie auch immer gearteten Beeinträchtigung des Grundstücks der Beschwerdeführer führt.

 

Laut Spruch des Landesverwaltungsgerichts Tirol können somit wiederausbaubare Verankerungssysteme gemäß § 43 TBO eingesetzt werden, eine dauerhafte Beeinträchtigung des Nachbargrundstückes sieht das Gericht dadurch nicht gegeben. Festzuhalten ist, dass zum Zeitpunkt der Recherchen zum gegenständlichen Beitrag noch kein Urteil in letzter Instanz (OGH) vorlag.

 

5. Schlussfolgerung

Gemäß § 43 TBO ist die vorübergehende Benützung von Nachbargrundstücken zur Herstellung einer Baugrube – sowohl in Form von freien Aushubböschungen als auch durch Versetzen wiederausbaubarer Anker – prinzipiell bewilligungsfähig.

 

Die Durchsetzung dieses Paragrafen hat jedoch meist langwierige Bewilligungsverfahren zur Folge und ist daher für Bauherren oder Investoren selten eine Option.

 

Daher empfiehlt es sich, bereits zu einem möglichst frühen Zeitpunkt den Konsens mit den Nachbarn zu suchen, um einen für alle Beteiligten gangbaren und zufriedenstellenden Weg zu finden.

 

Planer und Geotechniker sollten für Optimierungen mit ins Boot geholt werden. Verhandlungsgeschick und Knowhow können die Dauer von Genehmigungsprozessen verkürzen bzw. die Kosten für die Baugrubensicherungen auf ein erträgliches Maß reduzieren. In vielen Fällen lassen sich Baugrubensicherungen auch ohne Inanspruchnahme von Fremdgrund konzipieren, wenn Hochbauplanung und Geotechnik frühzeitig aufeinander abgestimmt werden. Langwierige Behördenverfahren und Streitigkeiten mit den zukünftigen Nachbarn können dadurch vermieden werden.